Als wir das japanische Internet kaputt gemacht haben…

Auflistung der Satistikwie die Twitter dem Ersteller anzeigt

Da mach ich einen unschuldigen Tweet um was zu verstehen, und dann wird der 25 Millionen mal angezeigt … man nennt es wohl “viral gehen” und wir sind damit wohl ein One-Tweet-Wunder :))

Aber mal der Reihe nach.

Ein Text in extremverdichteter Hiragana Schrift
Extrem vereinfacht

An einem eher langweiligen Freitag stolpere ich bei Twitter über einen (inzwischen gelöschten) Tweet eines japanischen Künstlers und Schrifdesigners namens “木材/Moku16” bzw. Mokuzai (@Mo_k_u auf Twitter) mit einem extrem vereinfachten Hiragana Zeichensatz mit nur 5×5 Pixeln (also 4×4 plus Rand). Das erinnert stark an die pixelige Schrift alter Nintendo Spiele – die waren in der Regel aber als 8×8 Pixel gehalten. So arg verkleinert hab ich’s noch nie gesehen. Ich mein, selbst die recht einfachen Lateinischen Buchstaben sind unterhalb von 6×6 nur schwer zu lesen und das absolute Minimum liegt bei 5×4 (immer mit Rand).

Die einzige Möglichkeit mehr zu erfahren ist jemanden Fragen, der sowohl was davon versteht, als auch Deutsch spricht. In dem Fall habe ich eine japanische Übersetzerin Frau Yoshie Uda (鵜田良江 ), @Hexenkurs auf Twitter, gefragt:

Liebe  @hexenkurs eine Frage, kann man diese auf 5×5 pixel verdichtete Schrift wirklich lesen bzw. sich den Inhalt zusammenreimen?

Sie hat dann auch einige Stunden später geantwortet, dass es etwas ungewöhnlich sei, man es aber aus dem Zusammenhang erkennen kann.

Cool, und eigentlich wäre die Sache damit ja erledigt … wenn ich dann mal am nächsten Morgen besser Twitter nicht aufgemacht hätte: Da waren dutzende Benachrichtigungen und zehntausende Views auf dem Tweet. Also normal für uns sind ja vielleicht 3-400 Views und eine Hand voll Likes. Das Computeum ist halt nicht das HNF oder Kanye West. Es sollte aber noch mehr kommen.

An diesem Vormittag hat Frau Uda den Tweet ebenfalls retweeted und dann ging es durch die Decke. Am drauf folgenden Tag hat unser Tweet satte 19 Millionen Views,  1.871 Retweets, 1.112 zitierte Tweets und 8.337 „Gefällt mir“-Angaben – plus nochmal 24.741 Retweets, 2.508 zitierte Tweets, 82.273 „Gefällt mir“-Angaben auf @Hexenkurs’ Tweet. Wohlgemerkt, wir haben nur 350 Follower und Frau Uda auch ‘nur’ ca. 600. Beides jetzt nicht der Influenzerei verdächtig.

Einen weiteren Tag später waren es dann über 20 Millionen und bis heute insgesamt 24,5 Millionen Views, 2.441 Retweets, 1.439 Zitate und 10.427
“Gefällt mir” plus 30.029 Retweets, 3.156 Zitate und 100.733 “Gefällt mir” auf Ihrem Tweet. Unglaublich. Einfach unglaublich.

Von den unzähligen Kommentaren waren die meisten Bestätigungen des Lesen-Könnens, bzw. Antworten auf die Frage in dem Pixeltext. Einige machten sich die Mühe zu erklären wo Schwierigkeiten sind. Und zwei Leser investierten auch richtig Zeit um zu Zeigen wie das funktioniert. Ich hab auf jeden Fall viel dabei gelernt.

@ytuk_hni machte sich die Mühe eine Grafik zu erstellen in der die normalen Zeichen über die Pixelschrift gelegt wurden, was schon mal erkennen lässt, wie es funktioniert:

Die Pixelzeichen mit in rot darüber gezeichneten 'normalen' Hiragana Buchstaben.
Die original Grafik überlagert mit der normalen Hiragana Schreibschrift

@SDrgzn ging sogar einen Schritt weiter und erklärte systematisch in 4 Bildern den kompletten Umsetzvorgang von den Hiragana über die Pixelwolken zu den Buchstaben und von dort aus zu dem Satz:

Darstellung des Japanischen Hiragana Alphabets
Das Hiragana Alphabet als Ausgang
Darstellung der Pixelnachricht mit den möglichen Deutungen zu jedem Zeichen
Schritt 1, Zuordnung der möglichen Glyphen zu den Pixelzeichen und Markierung der unklaren Details
Deutung der Zeichen im Wortzusammenhang
Schritt 2: Deutung der Zeichen im Zusammenhang, d.h. welche Gruppen ergeben sinnvolle Wörter
Darstellugn wie sich der fertige Satz aus den Wortgruppen ergibt
Der fertige Satz

Man kann den sorgfältigen und methodischen Ansatz nur bewundern. Vielen Dank @SDrgzn und all die Anderen die zum Verständnis beigetragen haben.

Bild aus einem Anime in dem sich scheinbar ein Forscher über eine alte Steintafel beugt und versucht diese zu entziffern
Dieses Bild aus einem Anime scheint zur zum aktuellen japanischen Popkulturwissen zu gehören – es wurde auf jeden Fall in sehr viele Antworten eingebunden

Was der Text nun sage? Es war eine einfache Frage:

Wenn heute die Welt unterginge,
wie würden Sie es machen

Also ich würde mit meinen Lieben reden, etwas gutes Essen und dann ein altes Computerspiel rausholen – oder nochmal Perry Rhodan Heft Nummer Eins lesen … da hat die Welt eine wunderbare, optimistische Zukunft.